Hallo liebe Leserin, lieber Leser,
heute wollen wir uns einmal der aktuellen Rechtsänderung widmen, die zum Ende des letzten Jahres eingetreten ist; nämlich einigen Neuerungen im Strafprozessrecht! Und die Schlagzeile hierzu lautet:
„StPO-Reform in Kraft getreten – das Gesetz zur Modernisierung des Strafverfahrens.“
Der Gedanke, der dieser Neuerung zugrunde lag, war ja vielleicht noch ein sehr rühmlicher, nämlich das strafrechtliche Verfahren zu beschleunigen. ABER genau hierin liegt natürlich eine große Gefahr! Der Gesetzgeber ist offensichtlich von einem unrichtigen Tatbestand ausgegangen, nämlich: Alle Strafverfahren dauern zu lange, alle Verteidiger stellen unnötige Anträge!
Das ist jedoch keineswegs der Fall, denn der größte Teil aller Strafverfahren läuft völlig normal und ohne „unsinnige Beweisanträge“ der Verteidigung ab, die nur darauf abzielt, einen Prozess in die Länge zu ziehen. Selbst wenn dies in einem großen Teil der Verfahren so wäre, ist dies aber noch kein Anlass, die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit über Bord zu werfen!
Einer dieser Kritikpunkte liegt in dem schönen und harmlosen Titel: „Vereinfachung des Befangenheitsrechts (Neufassung des § 29 StPO)“
Diese klingt zunächst einmal nach einer „Vereinfachung“ des Rechts, was ja nur positiv sein kann!? Jedoch sieht die Wahrheit leider sehr viel anders aus! Der Befangenheitsantrag war ein probates Rechtsmittel, einen unfairen Prozess zu verhindern, denn jeder Angeklagte hat nun einmal das Recht auf eine unvoreingenommene Richterschaft, denn immerhin sollen diese ja über seine Zukunft entscheiden.
Mit der neuen Regelung entfällt jedoch in weiten Teilen die mit der Befangenheitsbesorgnis einhergehende „Wartezeit“, wonach der betroffene Richter bis zur Entscheidung nicht an den Handlungen und Beschlüssen der Hauptverhandlung teilnehmen durfte. Nun hat man dem Gericht zwar einerseits eine Frist gesetzt, nämlich i.d.R 2 Wochen, binnen derer über den Befangenheitsantrag entschieden werden muss (klingt ja erstmal super); jedoch ist der betroffenen Richter während dieser Zeit nicht mehr gehindert, an der Hauptverhandlung teilzunehmen! Bei 2 Wochen und enger Terminierung können das einige Verhandlungstage und für den Angeklagte sehr nachteilige Prozesshandlungen sein! Und dies ist nicht die einzige nachteilige Veränderung in diesem Kontext.
ABER es gibt auch Gutes zu berichten, nämlich gingen mit dem „Gesetz zur Modernisierung des Strafrechts (10.12.2019)“ auch das „Gesetz zur Neuregelung des Rechts der notwendigen Verteidigung(10.12.2019)“ sowie das „Gesetz zur Stärkung der Verfahrensrechte von Beschuldigten im Jugendstrafverfahren (09.12.2019)“ einher.
Besondere Beachtung findet hiernach die Regelung des § 68a JGG (Jugendgerichtsgesetz), denn dort heißt es nunmehr: „In den Fällen der notwendigen Verteidigung wird dem Jugendlichen, der noch keinen Verteidiger hat, ein Pflichtverteidiger spätestens bestellt, bevor eine Vernehmung oder Gegenüberstellung mit ihm durchgeführt wird.“
Folglich haben Jugendliche (unter 18 Jahre) nunmehr wesentlich mehr Rechte, sofern sie in einem Strafverfahren verdächtigt oder beschuldigt werden.
Anders als bisher müssen sie schon ab “der ersten Stunde“ von einem Rechtsanwalt vertreten werden. Falls sie keinen Wahlverteidiger haben, muss der Staat ihnen ein Pflichtverteidiger zur Seite stellen. Dies gilt spätestens dann, wenn die Polizei Jugendliche in einem Verfahren zu Beschuldigten erklärt und wenn ihnen eine Jugendstrafe – auch zur Bewährung – droht. Ohne Rechtsbeistand dürfen sie in der Regel nicht vernommen oder zu Gegenüberstellung herangezogen werden.
Sollte sich erst in der Hauptverhandlung herausstellen, dass eine Jugendstrafe infrage kommt und deshalb die Mitwirkung eines Verteidigers notwendig ist, muss die Hauptverhandlung von neuem beginnen.
Daher sind sowohl Polizei als auch Staatsanwaltschaft gut beraten, wenn sie bei Ermittlungen gegen einen Jugendlichen schon von Beginn an die Beiordnung eines Pflichtverteidigers beantragen, da sie ansonsten riskieren, dass die komplette Hauptverhandlung erneut durchgeführt werden muss. Auch Beweisbeschaffungen, die bei klarem Vorliegen der Voraussetzungen einer Pflichtverteidigung erfolgt sind, könnten damit für ein späteres Verfahren problematisch werden, ebenso wie Geständnisse ohne Verteidiger!
Gerade im Jugendstrafrechts gilt daher: Beim ersten Kontakt mit der Polizei gleich auf der Hinzuziehung eines Verteidigers bestehen!
Ihr
Peter Stimper